Rheinholzer

Wenn das Holz kommt…

Kriessern. Wenn nach starken Regenfällen der Alpenrhein im Oberland und die Ill vom Montafon her zu reissenden Flüssen werden, gibt es für die Rheinholzer kein Halten mehr. Eugen Baumgartner, Chef der Rheinholzervereinigung, kennt die Faszination dieser alten Tradition und viele Geschichten drumherum.

Cécile Alge

„Rheinholzen ist Adrenalin pur, eine Sucht. Wenn man weiss, dass es starke Gewitter gibt, schläft man nicht mehr“, sagt Eugen Baumgartner. Der 67-jährige Kriessner ist Chef der Rheinholzervereinigung und seit Kindsbeinen immer mit dabei, wenn der Rhein Hochwasser führt und an seiner Oberfläche ganze Baumstämme mitschwimmen. „Wenn der Rhein ruft, ist alles andere nebensächlich“, sagt er. Viele Male habe er selbst bei der Arbeit gefehlt, weil er mit Wurfhaken, langen Stangen und anderem selbst gefertigtem Werkgeschirr am Rhein stand, um das Schwemmholz aus dem reissenden Fluss zu fischen. Auch seine Frau, seine drei erwachsenen Kinder und seine Enkelkinder stehen mit ihm dort, wenn das Holz kommt. Für uns kramt Baumgartner in seinen Erinnerungen und in der Fotokiste. Er zeigt Bilder mit riesigen Baumstrünken und Scharen von Holzern und Schaulustigen am „plappvollen“ Rhein. Bei Tag und bei Nacht. Bei Kälte und Regen. Mit Flutlicht und Regenbekleidung. „Wenn man im Element ist, spürt man nichts. Keinen Hunger, keinen Durst. Danach aber umso mehr“, schmunzelt Eugen Baumgartner.

Brennholz für die Armen

Das Rheinholzen ist eine alte Tradition, eine harte, gefährliche und früher auch eine existenzielle. Denn das Schwemmholz war das Brennholz der armen Leute. Sie konnten sich kein stehendes und gefälltes Holz aus dem Wald leisten. Also holten sie es sich aus dem hochgehenden Rhein. Die Holzbeute aus dem Hochwasser war aber oftmals nur ein schwacher Trost, denn die Überschwemmungen brachten auch Wasserschäden und Ernteverluste und damit viel Elend ins Tal. Und nicht selten war Schmalhans Koch und Gast an den hiesigen Mittagstischen.

50 Mitglieder im Tal

Heute ist die Armut im Tal zwar verschwunden, aber die Rheinholzer sind geblieben. Das Können überliefern sie immer wieder den Jungen und so entstanden ganze Generationen von ihnen. Und immer noch kommen neue dazu. „An der kürzlich abgehaltenen Hauptversammlung konnten wir das 50. Mitglied in unsere Rheinholzervereinigung aufnehmen“, sagt Baumgartner erfreut. Die Vereinigung wurde vor 28 Jahren gegründet, feiert also in zwei Jahren das 30-jährige Bestehen. Die Mitglieder sind eine verschworene Gemeinschaft von naturverbundenen Menschen aus dem oberen und unteren Rheintal. Männer, Frauen, Kinder, wie gesagt ganze Familien und Generationen. „Und sie haben alle ihren angestammten Platz. Das ist bei uns ein ungeschriebenes Gesetz“, erklärt der Kriessner Rheinholzer-Chef. Wer sich nicht daran hält, bekommt Ärger. Besitzerin des Bodens am Rhein ist zwar nach wie vor die internationale Rheinregulierung (IRR), aber die Rheinholzer hegen und pflegen „ihren“ Stammplatz stets selbst. Unzählige Stunden hat denn auch Eugen Baumgartner schon damit verbracht, an „seinem“ Platz Buschwerk auszureissen und das Bord zu ebnen, damit es gut zugänglich ist und bei Hochwasser die Baumstämme gut an Land gezogen werden können.

Einmal viel, einmal nichts

Baumgartner ist Rheinholzer durch und durch. Er verfolgt täglich haargenau das Wetter und informiert sich sofort über den Wasserstand im Bündnerland, wenn er meint, dass der Rhein ansteigen und Holz bringen könnte. In diesem Jahr war das allerdings kaum der Fall. „Ein richtig schlechtes Jahr mit mikrigen Erträgen“, blickt der Pensionär fast etwas resigniert zurück. Dafür gerät er ins Schwelgen, wenn er sich an die Rekordjahre 1987 und 2016 erinnert. „Damals fischten wir bis zu hundert m3 Holz aus dem Rhein. Eine unglaubliche Menge mit riesigen Strünken darunter.“ Damit er keine falsche Zahl nennt, blättert er sicherheitshalber noch nach. Denn Baumgartner führt Buch und weiss genau, wann er wieviel geholzt hat. Ein Blick rund um seine Werkstatt zeigt: es ist seeeehr viel. Dort türmt sich ein imposantes Lager von über 250 Kubikmetern Holz. Aber ein echter Rheinholzer hat nie genug. Mit einem Schmunzeln im Gesicht zeigt der Rheinholzer-Chef auf seinen Traktor, der startklar in der Garage steht – Wurfhaken, Seile, Stangen alles auf die Ladefläche dahinter gepackt. Man weiss ja nie, ob der Rhein demnächst doch noch ruft. „Ich hoffe es, denn ich brauche ja noch Arbeit für den Winter“, schliesst Baumgartner.